Viel ward geschrieben über Stimmung. Für die einen das vornehmste Ziel, ist sie den anderen ein rotes Tuch. Doch was ist das rote Tuch, genau? Nicht die Stimmung selbst. Sondern die – aus Sicht der Kritiker – fehlgeleiteten oder gar untauglichen Versuche des SL, Stimmung zu erzeugen. Und die damit einhergehenden Forderungen an die Spieler, die Stimmung nicht “kaputt zu machen”. Auf der anderen Seite wird von Spielrunden berichtet, in denen niemand sich in irgendeiner Form bewusst bemüht, Stimmung zu erzeugen, und dennoch eine intensive Stimmung aufkommt.
Was bleibt also, 10 Jahre nach der Stimmungsspiel-Debatte, da im Karneval der Rollenspiel-Blogs das Thema “Stimmung” ausgelobt wird? Gibt es überhaupt so etwas wie eine Kunst der stimmungsvollen Spielleitung? Wenn du mich fragst: ja!
Nicht einfach Stimmung, welche Stimmung?
Bei der stimmungsvollen Spielleitung (stSL) kommt es darauf an, ein Ergebnis vor Augen zu haben und sein Werkzeug entsprechend zu wählen. Wer einfach nur irgendeine Stimmung zu erzeugen versucht, fischt im Trüben. Wenn du die Kunst der stSL meistern willst, musst du dir vergegenwärtigen, welche Stimmung du versuchst, zu erzeugen. Das erste Mal, dass ich diesen Gedanken differenziert ausformuliert gelesen habe, war in Vampire: the Masquerade, 1st Edition. Hier wurden folgende Beispiele für den “Mood” einer “Story” genannt: “Brooding, romantic, mysterious, exciting, dank, eerie, mad, idyllic, humorous.” Je länger man überlegt, desto mehr Möglichkeiten fallen einem ein. Entscheidend ist, dass man weiß, worauf man hinaus will.
Einige Stimmungen sind leichter zu erzeugen als andere. Ich versuche mal, ein paar Beispiele nach Schwierigkeitsgrad zu sortieren:
- Anfänger: Grusel, Horror, Persiflage, brutal.
- Fortgeschritten: Angespannt, düster, fatalistisch, hoffnungsvoll, geheimnisvoll, paranoid, durchgeknallt, Testosteron.
- Experte: Bizarr, abgründig, nachdenklich, unwirklich, bedrückend, grandios, psychedelisch, melancholisch, verzaubert.
- Meister: Erotisch, romantisch, wahrhaftig.
Stimmung wird punktuell erzeugt
Eine ganze Spielsitzung lang die Spieler durchgehend mit der Stimmungskanone zu bombardieren, führt nur dazu, dass sie es irgendwann gar nicht mehr wahrnehmen. Es wird langweilig. Ein guter stSL wählt die Momente weise, in denen er den Stimmungsregler auf 11 dreht. Gute Momente sind z.B. beim erstmaligen Beschreiben eines wichtigen Schauplatzes oder beim ersten Auftritt eines wichtigen NSCs – bestimmte NSCs können sogar ein Dauerabo auf Stimmung haben, die sollten dann allerdings auch nur selten und kurz auftreten. In meiner Star-Wars-Kampagne war z.B. Darth Vader ein solcher Charakter.
Am Höhepunkt einer (Action-)Szene gilt es zu unterscheiden: Während die Spieler noch Entscheidungen treffen, noch Details erfragen und ihren Schlachtplan zurechtlegen, noch die Würfel rollen und die Regeln konsultieren, gilt es, pragmatisch zu sein. Hier ist Klarheit und Struktur wichtig, und die Spieler sind auf das, was sie erreichen wollen, fokussiert, davon würden stSL-Techniken in dem Moment nur ablenken. Der gute stSL bringt diese Techniken daher erst dann ins Spiel, wenn die Entscheidung gefallen ist, wenn die Würfel und Spielregeln gesprochen haben, wenn es gilt, den Ausgang zu beschreiben.
Stimmung ist planbar
Sich bewusst zu machen, welche Stimmung man eigentlich erzeugen möchte, kann bereits genügen. Für die weniger Spontanen unter uns kann es aber hilfreich sein, sich im Vorwege ein paar Gedanken zu machen, wann und wie man die gewünschte Stimmung erzeugt. Einige werden jetzt wieder sagen, das ist doch Railroading, und historisch waren leider die Advokaten der stSL oft auch Advokaten des Railroadings und des Illusionismus. Das ist aber ein Thema für sich. Natürlich ist Stimmung vor allem dann planbar, wenn auch das Abenteuer bzw. der Inhalt der Spielsitzung (im Groben) planbar ist, aber das heißt noch lange nicht Railroading. Der Hardcore-Sandboxer mag abwinken, aber hey, der Hardcore-Sandboxer ist hier eh im falschen Blog.
Der Werkzeugkasten der stimmungsvollen Spielleitung
Jetzt mal Butter bei die Fische, Vermi, sagst du. Das ist ja alles schön und gut, aber wie geht es denn nun, konkret? Hier sind die wichtigsten Werkzeuge:
- Der passende Inhalt. Die Schauplätze, NSCs, Konflikte, Themen und Leitmotive müssen zur gewünschten Stimmung passen. Überlege dir also, welche Stimmung du erzeugen möchtest, bevor du dein Abenteuer schreibst. Oder wenn du ein Kaufabenteuer leitest, frage dich beim Lesen, ob bzw. an welchen Stellen es eine konsistente Stimmung gibt.
- Beschreibung und Darstellung. Es erscheint schwer vorstellbar, die Kunst der stSL zu meistern, ohne in der Lage zu sein, eine halbwegs druckreife Beschreibung in freier Rede zu improvisieren. Ein Talent als Laienschauspieler ist nicht unbedingt erforderlich, aber es kann helfen. Oft ist es ratsam, sich in der Vorbereitung ein paar Dinge zurecht zu legen, ein paar passende Adjektive für die Beschreibung (aber nicht übertreiben), ein paar passende Zitate für den NSC, oder vielleicht einen Filmcharakter, den man gut kennt, an dessen Sprechweise man sich orientiert. Ein SL im Tanelorn berichtete z.B. mal, bei einem NSC Martin Semmelrogge gechannelt zu haben.
- Beiwerk. Ja genau, alles andere ist nur Beiwerk. Man kann stSL allein mit dem passenden Inhalt, Beschreibung und Darstellung betreiben. Diese sind unverzichtbar, und sie sind nach meinem Dafürhalten zu mindestens 80 % für die Stimmung verantwortlich. Die restlichen (bis zu) 20 % können aber genau das sein, was einer Spielsitzung den entscheidenden Kick gibt. Hier ein paar Beispiele, kein Anspruch auf Vollständigkeit.
- Musik. Andere Blogger haben ja im Rahmen des Karnevals schon hierüber debattiert. Wobei ich nicht von Hintergrundgedudel auf Dauerschleife spreche. Das mag man mögen oder auch nicht, aber es ist kein gezielt eingesetztes Werkzeug. Der richtige Track zum richtigen Zeitpunkt (s.o.) hingegen kann schon sehr viel bewirken. So was wie ein persönliches Theme für bestimmte Charaktere. Oder z.B. in einer Horror-Runde ein besonders fieser/bedrohlicher Track, den der SL während einer investigativen Szene auflegt, sodass die Spieler bereits wissen, jetzt gleich passiert was Schlimmes.
- Soundeffekte. Dafür gibt’s ja inzwischen mehrere Apps. Man muss allerdings aufpassen, dass es nicht zum Gimmick verkommt. Hier gilt ganz besonders: Punktueller Einsatz. Dann aber kann das Heulen eines Sturms oder Triebwerkes schon sehr viel zur Stimmung beitragen. Früher hatten wir ja noch keine Apps. Aber einen TIE-Fighter oder ein Lichtschwert kann man auch so nachmachen.
- Props und Handouts. Beschreibungen in allen Ehren, aber manchmal sagt ein Bild mehr als die sprichwörtlichen tausend Worte. Allerdings, besser gar keine Handouts, als schlechte Handouts.
- Umgebung. Eine passende Dekoration kann natürlich schon sehr viel Aufwand sein, und andererseits ist es absolut möglich, sehr stimmungsvolle Runden in einem ganz normalen Wohnzimmer zu spielen. Es sollte auch nicht zu unpraktisch/unbequem sein, sonst überwiegt der Schaden den Nutzen. Aber wer das Privileg hat, in einer richtig genialen, stimmungsvollen Umgebung zu spielen, der wird davon noch lange erzählen.
- And beyond… ich habe schon kreative stSLs erlebt, die sich außergewöhnliche Dinge einfallen ließen, um einer Runde den besonderen Kick zu verleihen.
- Für eine postapokalyptische Runde im Stile von The Road erhielt jeder Spieler eine Blechbüchse, darin waren Streichhölzer, ein Nähset, ein Kompass, Bleistift und Notizblock, ein Satz Würfel, alles vom SL händisch “abgenutzt”, sowie persönliche Briefe, Notizen und Fotos des Charakters, in ein Stofftaschentuch eingeschlagen.
- Für eine politische Runde bei Hofe in Westeros wurde ein (pseudo-)mittelalterliches Bankett aufgefahren, das zu beschreiben George R.R. Martin seine helle Freude gehabt hätte.
- Für eine Survival-Horror-Runde in der antarktischen Polarnacht wurde der Raum abgedunkelt und im Schein von Knicklichtern und Taschenlampen gespielt.
- In einer KULT-Runde fanden die Charaktere ein nacktes Mädchen, am ganzen Körper mit Schnitten übersät, in einer Mülltonne. Der SL verdeutlichte die Szene, indem er sich sein T-Shirt vom Leib riss und sich in Fötushaltung auf den Boden kauerte.
Die Spieler müssen im Boot sein
Gerade die letzten Beispiele verdeutlichen, dass nicht jede Technik des stSL für jeden Spieler funktionieren wird. Und selbst wenn du als stSL auf Beiwerk verzichtest: Deine Beschreibungen, deine Darstellungen musst du schon ernst meinen. Das bedeutet nicht Humorlosigkeit, aber es bedeutet einen Leap of Faith, weil es immer leicht ist, so etwas ins Lächerliche zu ziehen. Wenn die Spieler das tun, hast du verloren. Der Fehler, den aber viele nun machen, ist umgekehrt zu denken, wenn ich den Spielern dumme Witze verbiete und diese sich daran halten, hätte ich bereits gewonnen.
Rollenspiel lebt immer von Interaktion, lebt von dem Sich-auf-die-anderen-Einlassen, lebt auch vom Applaus. Du brauchst Spieler, die für stSL im Allgemeinen und die Stimmung, die du erzeugen möchtest, im Speziellen, überhaupt offen und empfänglich sind. Und die Spieler müssen auch wissen, dass die Runde als stimmungsvolle Runde gedacht ist, und welche Genre-Erwartungen (ganz grob) gelten. Transparenz ist wichtig. Aber die Erwartung an die Spieler kann gerade nicht sein, dass sie dir eine Stimmung blind abkaufen. Du musst abliefern, du musst die Spieler kriegen. Sonst wäre euer Spiel nicht stimmungsvoll, sondern ihr würdet allenfalls so tun, als ob es stimmungsvoll wäre.
Schöner Artikel. Kurz, relevant, amüsant; so muss das sein!