Ich hätte ja nie gedacht, dass ich mich noch mal so intensiv mit D&D beschäftige, aber es hat sich so ergeben und ich leite jetzt sogar Lost Mine of Phandelver mit einer bunt zusammengesetzten Gruppe. Das Abenteuer (das im Starter Set enthalten ist) hat ja sehr viel Lob erhalten, und es ist auch wirklich hervorragend präsentiert und eine sehr gelungene Einführung in alles, was typisch D&D ist. Es gibt mehrere kleinere Dungeons und einen etwas größeren, ein bisschen Wildnis, ein paar mögliche Zufallsbegegnungen, viele verschiedene Monster einschließlich einiger ikonischer Originale, eine kleine Stadt mit einem Strauß an NSCs – und auch 1 ½ geskriptete Encounter. Oder mehr, je nachdem, wie man zählt.
Was ist es?
Ein geskriptetes Encounter ist eine Szene (Begegnung), die zu einem bestimmten Zeitpunkt im Abenteuer passieren soll, um die Handlung voran zu bringen. Der DM soll also warten, bis bestimmte andere Dinge passiert sind, und dann, wenn ein bestimmter Auslöser eintritt oder sich eine gute Gelegenheit ergibt, die geskriptete Szene starten. Beispiel 1 aus Lost Mine (milder Spoiler): Nachdem die Charaktere etwa einen Tag in der Stadt gewesen sind, brechen lokale Rowdys einen Kampf mit ihnen vom Zaun, oder früher, wenn die Charaktere sich zum Hangout der Rowdys begeben.
Wenn man es genau nimmt, sind auch die meisten Dungeons voll von geskripteten Encountern, da sie eine bestimmte Situation voraussetzen, die genau in dem Zeitpunkt vorzufinden ist, in dem die Charaktere eintreffen. In den meisten Dungeons wird ja nicht die Routine der Dungeonbewohner beschrieben und der DM ermittelt dann zufällig, wer sich zu welchem Zeitpunkt gerade in welchem Raum aufhält, sondern es wird genau eine Besetzung für jeden Raum präsentiert, und dann gibt es ggf. noch ein paar wandelnde Monster. Nicht immer ist die geskriptete Natur eindeutig, manchmal aber schon. Beispiel 2 aus Lost Mine (milde Spoiler): Als die Charaktere den Raum betreten, sind ein paar Ghule gerade dabei, das Mark aus den dort herumliegenden Gebeinen zu schlürfen.
Warum lehnen es manche Leute ab?
Für Oldschool-Spieler und Simulationisten sind geskriptete Encounter oft ein rotes Tuch. Denn sie möchten, dass sich alles, was geschieht, organisch aus der Logik der Spielwelt ergibt. Dass der DM überhaupt eine bestimmte Handlung geplant hat, ist da schon grenzwertig, aber auf keinen Fall darf er einfach willkürlich in die Welt eingreifen, um diese Handlung zu forcieren. Der explorative Ansatz stößt irgendwann an Grenzen der Praktikabilität (z.B. bei der Besetzung von Dungeon-Räumen), sodass Kompromisse erforderlich sind und auch gemacht werden. Aber zumindest Beispiel 1 wäre in diesem Spielstil ein No-Go.
Ich persönlich kann mit diesem streng explorativen Spiel nichts anfangen, und es entspricht auch nicht dem in D&D5 vorausgesetzten Spielstil. Ich nehme aber gerne zur Kenntnis, dass manche darauf Wert legen. Was ich absolut nicht cool finde, ist das von einigen dieser Leute geprägte Schmähwort “Encountardization”. Ich will hier keine Grundsatzdiskussion aufmachen, aber die Überhöhung des explorativen Spiels als intelligenter, anspruchsvoller oder gar moralischer als ein Spiel mit geskripteten Teilsequenzen ist meiner Meinung nach grob unsinnig. Und die Wortschöpfung, die auf dem Schimpfwort “retarded” basiert (auf Deutsch also zurückgeblieben bzw. behindert), ist auf jeden Fall völlig daneben.
Was ist daran gut?
Geskriptete Encounter machen dem DM das Leben leichter. Durch sie wird das Abenteuer besser planbar und einfacher vorzubereiten. Der DM hat die Chance, die Szene vor dem Spiel schon mal durchzugehen, vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen, vielleicht Dialogzeilen oder Beschreibungen zu üben. Für diejenigen von uns, die nicht mit einem überragenden Improvisationstalent gesegnet sind, wird es dadurch viel leichter, solche Szenen konsistent, atmosphärisch dicht, unterhaltsam, kurz: filmreif zu präsentieren. (Unbenommen bleibt, dass heutige Filme oft genug Szenen haben, die nicht filmreif sind.)
Geskriptete Encounter erlauben es dem DM auch zu einem gewissen Grad, das Abenteuer in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. Was man dabei opfert, ist die absolute Offenheit des explorativen Spiels (auch wenn jeder gute DM gelegentlich ein geskriptetes Encounter über Bord werfen wird, wenn das Spiel eine andere, interessante Richtung nimmt). Dafür reduziert man Vorbereitungsaufwand und kann viel leichter sicherstellen, dass man die richtige Menge an Material für eine Spielsitzung hat. Besonders bei Con-Runden und anderen One-Shots kann man dadurch auch viel eher dafür sorgen, dass das Abenteuer innerhalb der vorgesehenen Zeit zu einem befriedigenden Abschluss kommt.
Was kann dabei schiefgehen?
Erstens: Railroading. Wenn ein DM zu sehr an seinem Skript hängt, kann er in Versuchung geraten, dieses Skript gegen alle Widerstände durchzudrücken. Wenn Spieler clever waren, etwas vorhergesehen haben, das sie eigentlich überraschen sollte, etwas zu ihrem Vorteil zu nutzen verstehen, das im Skript nicht vorgesehen war, dann ist es für die Spieler frustrierend und ärgerlich, wenn sie dafür nicht belohnt werden. Wenn der DM stattdessen irgendwelche Dinge erfindet, die den Erfolg der Spieler zunichte machen und es dem Skript erlauben, sich zu entfalten, werden Spieler zu Recht sauer sein. Das ist nach wohl jeder Definition Railroading, so flexibel sollte ein DM sein, dass er das nicht nötig hat.
Aber selbst wenn der DM nichts erfinden muss, selbst wenn das Skript so robust ist, dass all der Einfallsreichtum der Spieler in der Situation einfach nichts bringt, kann das für Spieler frustrierend sein. Denn sie erkennen ja genau, dass die Karten gezinkt wurden, um das Abenteuer in eine bestimmte Richtung zu lenken. Zwar halte ich es grundsätzlich nicht für ein Problem, von Spielern zu erwarten, dass sie dies gelegentlich hinnehmen. Schließlich will der DM ihnen einfach nur ein möglichst spannendes und unterhaltsames Abenteuer bieten, und das Skript erleichtert ihm diese Aufgabe manchmal ungemein. Auf der anderen Seite sollte man dann als DM aber die Spieler nicht am Nasenring durch die Manege führen. Wenn es irgendwo einen Flaschenhals gibt, irgendeine Sache, die einfach passieren muss und die die Spieler nicht verhindern können oder sollen, dann sollte man das als DM auch zügig durchblicken lassen, damit die Spieler wissen, dass sie sich nicht anstrengen müssen. Und dann sollte man den Flaschenhals in angemessener Kürze abhandeln, um zur nächsten Szene zu gelangen, deren Ausgang die Spieler wieder beeinflussen können.
Zweitens kann es auch passieren, dass die geskriptete Szene bei näherem Hinsehen überhaupt keinen Sinn ergibt. Wenn man darüber nachzudenken anfängt, warum die beteiligten Figuren gerade zu diesem Zeitpunkt aufgetaucht sind, oder warum sie sich so verhalten haben, wie sie sich verhielten, was sie wussten, was sie nicht wussten, usw., dann sollte das bei einer gut geskripteten Szene alles zusammenpassen. Ein offensichtlicher Widerspruch oder hanebüchener Zufall zerstört die Glaubwürdigkeit der Spielwelt und entzieht den Spielern damit auch die Grundlage, sinnvolle Überlegungen und Pläne aufzustellen. Natürlich sind gewisse Kompromisse okay, aber offensichtlichen Unsinn sollte man vermeiden. In Beispiel 2 liegen die Gebeine seit 500 Jahren herum, aber ausgerechnet jetzt sind Ghule auf die Idee gekommen, dass es da noch Mark zu schlürfen geben könnte? Srsly? (Diese Szene werde ich umschreiben.)
Wie viele sind zu viele?
Theoretisch kann man ein ganzes Abenteuer nur aus geskripteten Encountern zusammensetzen. Dann hat man letztlich einen dramaturgischen Spielstil mit szenischer Vorbereitung. Die Kunst dabei ist es, die einzelnen Szenen nicht zu linear aufzureihen und auch unterschiedliche Ausgänge möglich zu machen. Wenn ich so etwas leiten will, nehme ich dafür eher nicht D&D, was aber nicht heißt, dass das nicht geht. Es ist nur nicht unbedingt das, wofür D&D gemacht wurde. In der aktuellen Version ist D&D denke ich am Besten für eine gesunde Mischung aus explorativen und geskripteten Sequenzen geeignet. Wichtig ist in jedem Fall, Respekt vor den Würfeln und den Ideen der Spieler zu haben.
So hart geskriptet ist die Szene wiederum auch nicht, ich hab den Part dreimal gespielt und er hat sich immer recht unterschiedlich entwickelt. Vor allem aber gibt es keinen vorgeschriebenen Ausgang („Die SC werden bewusstlos geschlagen, um …“), da ist – denk ich – bei vielen der Tropfen zu viel.
Und der Dungeon der Red Brands lässt sich ja durchaus mit den gegebenen Hinweisen „dynamiseren“.
Bei den Redbrands hab ich es so gemacht, dass sie „ein Segen und ein Fluch“ sind, da sie die Bevölkerung tatsächlich terrorisieren, aber auch den Ort und die Höfe weiter aussen gegen Banditen, Goblins und Orks verteidigen. Dadurch hat eine Gruppe Teile der „übriggebliebenen“ Redbrands zur Dorfwache gemacht, die sie mitorganisiert haben. Erklärt Harbin Vesters Lage imho besser als im Original.