Praktische Erkenntnisse aus der sog. Rollenspiel-Theorie

Von 2004 bis ca. 2009 gehörte ich zu den sogenannten Rollenspiel-Theoretikern im Tanelorn, und war auch eine Weile sehr aktiv auf The Forge. Allerdings wurde oft darauf hingewiesen, dass, was hochtrabend als “Theorie” bezeichnet wurde, keinerlei wissenschaftlichem Anspruch genügte. Haben wir auch nie behauptet. Und wann immer einer mit wissenschaftlichem Anspruch daher kam, fand ich das ermüdend. Ich war nur an praktischen Erkenntnissen interessiert. Was also waren die wichtigsten Dinge, die ich auf meinen Reisen mitgenommen habe?

1.  Alles geht auf die Menschen am Tisch zurück

Auf der fundamentalsten Ebene steht hinter allem, was passiert, ein Mitspieler und sein Handeln. Jeder ist für sein Handeln verantwortlich, und auf die Akzeptanz der Mitspieler angewiesen. Charaktere, Spielwelt und Spielregeln sind weder gottgegeben, noch Selbstzweck, dahinter steckt der Wille desjenigen, der sie sich ausgedacht oder sich auf sie berufen hat. Ein Konflikt, der auf der Ebene zwischen den Menschen am Tisch besteht, mag sich auf der Ebene der Charaktere, der Spielwelt oder der Spielregeln manifestieren, doch er kann durch Handlungen auf Ebene der Charaktere, der Spielwelt oder der Spielregeln niemals gelöst werden. Sondern nur durch direkte und offene Kommunikation zwischen Mitspielern. “Redet darüber wie Erwachsene”, ist der ebenso langweilige wie richtige Ratschlag. Daraus folgt auch, dass “der SL hat immer Recht” Unfug ist. Es ist guter und bewährter Brauch, dem SL einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, doch ohne die fortgesetzte Akzeptanz der Spieler kann ein SL gar nichts.

2.  Alle müssen über den Spielstil einig sein

Für eine gelungene Spielrunde ist entscheidend, dass die Gruppe sich – implizit oder explizit – über den Spielstil einig ist. Das heißt nicht Einseitigkeit, im Gegenteil ist es gerade die Stärke von Rollenspiel, dass man aus vielen verschiedenen Dingen Spaß ziehen kann. Aber es heißt, dass alle am Tisch (für eine gegebene Runde) die gleichen Sachen wollen und gut finden, oder zumindest eine große Schnittmenge haben. Rollenspiel ist eine Gruppenaktivität, und Spielspaß im Rollenspiel entsteht dadurch, dass ich nicht nur an dem, was ich selber mache, Spaß habe, sondern auch an dem, was alle anderen machen, und dass ich umgekehrt das Gefühl habe, meine Beiträge kommen gut an.  

Deshalb ist es ein Irrweg, zu glauben, man könne Mitspieler mit ganz unterschiedlichen Interessen und Vorlieben in einer Runde vereinen, indem man nur einen “guten SL” hat, der jedem das gibt, was er will. Wenn meine Mitspieler sich ständig mit Dingen befassen, die mich langweilen oder die ich geschmacklos finde, dann hilft es nicht, dass ich zwischendurch auch mal “meine Szene” bekomme. Zumal wenn ich merke, dass sich außer mir und vielleicht noch dem SL keiner dafür interessiert. Wenn ich eine solche Runde habe, dann gibt es nur eine Sache, die ich tun kann: Meinen Hut nehmen und gehen.

3.  Immersion lässt sich nicht erzwingen

Frag drei Rollenspieler, und du wirst vier Definitionen von Immersion bekommen. Soweit ich sagen kann, geht es aber immer um besonders intensive und fesselnde Spielrunden, die dich komplett in ihren Bann schlagen und dich euphorisch zurücklassen, mit Verlust des Zeitgefühls und völligem Abtauchen in die eigene Vorstellungswelt. Dafür ist der Inhalt der Fiktion verantwortlich, vor allem aber die Dynamik zwischen den Mitspielern, eine Kombination von Wollen und Tun im Grenzbereich des eigenen Könnens. Psychologen sprechen von “Flow”. Der Begriff der “Immersion” ist irreführend, man ist “drin” in der gemeinsamen Aktivität und nicht “drin” in dem Charakter oder der Spielwelt. Und insbesondere ist der Gedanke irreführend, durch Verbote (kein OT, keine dummen Witze) Immersion erzwingen zu können. Nicht weil man keine dummen Witze macht, ist man “drin”. Sondern weil man “drin” ist, macht man keine dummen Witze.

Generell lassen sich solche Erlebnisse nicht erzwingen, es lassen sich nur möglichst gute Voraussetzungen dafür schaffen: Indem man die Mitspieler, das System und den Hintergrund für die Runde so auswählt, dass alles zusammen passt. Indem man für eine störungsfreie Umgebung sorgt und dafür, dass alle Mitspieler ausgeruht sind und den Kopf frei haben. Diese Dinge begünstigen Immersion, sind aber noch keine Garantie. Für die allermeisten Rollenspieler dürfte es unrealistisch sein, Immersion für jede einzelne Spielrunde, die man spielt, anzustreben.

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