Muss der Ork weg?

Ich habe in den letzten Tagen Roll Inclusive durchgelesen. Es ist ein wichtiger, mutiger und im großen und ganzen gelungener Debattenbeitrag. Ich finde das Anliegen sehr richtig und gut und teile die Grundannahme, dass Diversity und Repräsentation im Rollenspiel wünschenswert sind, gerade im Interesse von Inklusivität. Erwartbar sorgt das Buch überall dort, wo es im Internet angesprochen wird, für Kontroversen grundsätzlicher Natur. In solchen Debatten möchte ich keine Kritik üben, die dann von Leuten vereinnahmt werden könnte, deren Einstellung ich ganz und gar nicht teile. Das ist sehr schade, denn ich sehe an zwei, drei Punkten durchaus Diskussionsbedarf. Den ersten davon möchte ich heute hier ansprechen: Muss der Ork weg?

Drei Artikel in Roll Inclusive, die mir besonders gut gefallen haben, sind “Kritischer Treffer? Kritisches Weißsein! – Rassismuskritisches Denken und Handelns im Rollenspiel” von Mike Krzywik-Groß, “People of Color zwischen Othering und adäquater Repräsentation” von Aşkın-Hayat Doğan und “Das war halt so! – Zur Problematik von historischer Korrektheit, Authentizität und Fantastik” von Aurelia Brandenburg. Ich möchte keine Zusammenfassung versuchen, da die Artikel bereits sehr tight sind und ich daher jedem nur empfehlen kann, sie selber zu lesen. Wichtig ist hier nur, dass sehr nachvollziehbar und überzeugend herausgearbeitet wird, wie die rassistischen Narrative des Kolonialismus und des Imperialismus auch Fantasy-Literatur und Rollenspiel-Settings prägen, und dass z.B. Orks hierzu sehr deutliche Bezüge haben. Sie sind unzivilisiert, böse und gewalttätig, sie haben flache Nasen, eine fliehende Stirn und andersfarbige Haut, und man kann sie ohne Reue töten. So weit, so richtig.

Worum sich die Autor*innen allerdings drücken, ist eine klare Aussage dazu, was denn ihrer Meinung nun mit den Orks geschehen soll. Müssen die weg? An einer Stelle wird gesagt, die Zusammenhänge zu reflektieren und sich innerlich davon abzugrenzen, sei schon mal besser, als es nicht zu tun. An anderer Stelle wird gesagt, dass Veränderungen auch mal ein bisschen wehtun dürfen, im Sinne von Wehmut, aber trotzdem ein Gewinn seien. Es wird kritisiert, dass Orks immer die Bösen sind und Spieler den “Genzozid” an ihnen ausrufen. Aber eine so richtig klare Ansage sucht man vergebens. Was also wird denn nun aus den Orks? Dazu habe ich drei Anmerkungen:

Erstens sind fast alle Beiträge im Buch stark durch die Erzählspieler-Brille geschrieben, und zwar entweder in der DSA- und Shadowrun-Variation, oder in der Indie-Fate-pbtA-Story-Games-Variation. Dabei wird vernachlässigt, dass Kampf, dass taktisches und strategisches Spiel, Betonung auf Spiel, im Pen & Paper seit jeher eine große Rolle gespielt haben. Ebenso wird vernachlässigt, dass Dungeons & Dragons nicht nur das erste Rollenspiel war, sondern bis heute das bei weitem erfolgreichste und meistgespielte Rollenspiel der Welt ist, das zudem ganze Generationen von Videospielen, Brettspielen, Kartenspielen, LARPs und Table Tops geprägt hat. Das Antagonistische ist hier nicht bloß ein erzählerisches Klischee, sondern zugleich notwendiges Spielprinzip. Die Vernachlässigung eines erheblichen Teils des Hobbies halte ich für die größte Schwäche von Roll Inclusive, hier wäre etwas mehr Repräsentation (haha) wünschenswert gewesen.

Zweitens scheint es mir zumindest diskussionswürdig, ob nicht bestimmte, archetypische Geschichten tief in uns etwas ansprechen und daher wieder und wieder erzählt werden wollen. Die Heldenreise wird ja in Erzählspielerkreisen gerne zitiert, doch auch Geschichten von Kriegen und epischen Schlachten, von uralten, bösen Feinden und einer rechtschaffenen Gemeinschaft, die ihren Zusammenhalt dagegen setzt und letztlich triumphiert; die Idee einer gottgewollten und bewahrenswerten Ordnung, einer Spiritualität, die nicht zweifeln muss, weil das Metaphysische in der Welt sich deutlich manifestiert… diese Dinge resonieren mit uns. Es geht im Rollenspiel um Eskapismus, um Emotion, um Unterhaltung, und dafür bedienen wir uns dieser Archetypen, darüber braucht niemand, der gerne pädagogische Story Games spielt, die Nase zu rümpfen. Mag ja sein, dass solch archaische Geschichten nicht künstlerisch wertvoll sind, man sollte aber aufpassen, dass man nicht Geschmacksfragen mit dem Politischen vermengt. 

Das beantwortet natürlich alles noch nicht die Frage, ob es nun ausgerechnet Orks sein müssen, und führt mich zu Drittens: Selbst wenn, was ich noch nicht als so eindeutig ansehe, man zu dem Schluss käme, dass es aus politischen Gründen wünschenswert wäre, Orks auf den Müllhaufen der Geschichte zu verbannen: Wäre es taktisch und strategisch klug, das jetzt zu fordern? Alice Schwarzer hat mal ein Porno-Verbot gefordert, sie hatte dafür auch Argumente, aber mal ganz abgesehen von der Frage, ob ich diese Argumente teile: Das war taktisch und strategisch ein ganz großer Fehler und hat meiner Meinung nach dem Feminismus in Deutschland sehr geschadet. Aufs Rollenspiel übertragen, bedeutet das: Es ist eine Sache, den Leuten zu sagen, dass ihre Novadis nicht cool sind. Die meisten Leute hatten das mittlerweile wohl schon von sich aus geahnt. Aber den Leuten zu sagen, dass sie keine Orks mehr metzeln dürfen? Nein, da tut man sich selbst und der Sache™ keinen Gefallen mit. Ich rate dringend, die Kirche im Dorf zu lassen.

11 Gedanken zu „Muss der Ork weg?“

  1. Die große Betonung von „Monster ecology“ im D&D Kontext ist für mich prägend und hat mit der impliziten Aufforderung auch ruhig…“ethnographisch“ zu denken (Warum tun Orks, was sie tun?) in mir schon früh dazu geführt Kontext zu schaffen und somit „Essentialismus“ zu vermeiden. Albernes Beispiel, aber eines das mir große Freude bereitet: Gibt es in den Spelunken, Kaschemen und Tavernen Waterdeeps Sitzhilfen für Halblinge? Ist das selbstverständlich oder seltsam? Warum? Usw.

    1. Sitzhilfen für Halbinge finde ich schön!

      Man hört das ja auch von Matt Mercer und Consorten, dass sie sagen, macht euch Gedanken darüber, warum die Orks tun, was sie tun, oder konfrontiere die Spieler mit Ork-Kindern, oder dergleichen. Wenn man das so handhabt, dann muss das aber eigentlich konsequenter Weise auch das Spiel verändern, dann darf man eigentlich keine gewaltsamen Lösungen mehr suchen, dann kann man sich in ethischen Diskussionen aufreiben. Der Schwerpunkt von D&D bleibt aber ja trotzdem der taktische Kampf, darauf ist doch fast alles zugeschnitten. Das ist eben der Spiel-Part, und ich halte es für einigermaßen widersprüchlich, den Spaß an diesem Spiel-Part, den Triumph des errungenen Sieges, zu verderben, indem man die Spieler hinterher mit weinenden Ork-Waisenkindern konfrontiert. Ok, wenn einige Deppen von Dungeon Fucking Vietnam faseln, würde ich ihnen vielleicht auch gerne mal ein Dungeon Fucking Mỹ Lai auftischen, aber grundsätzlich ist D&D dafür doch nicht das richtige Spiel.

      1. Als Spieler mit Genuss am taktischen Kampf, bereitet es mir drei mal so viel Freude eine Begegnung ohne Gewalt zu lösen, als wenn die Personagen die Zombies mit Feuerbällen bewerfen. Die Herausforderung liegt dann eben auch darin, möglichst „Ressourcenschonend“ zu lösen.

        Möchte sagen, ich sehe persönlich einen gute Möglichkeit die Spannung dieses ethischen Konflikts ins Spiel mit Würfeln und Battlemap zu überführen. Dabei kommen dann unweigerlich auch Fragen auf wie: Was hält „die Gesellschaft“ von Beherrschungszaubern?
        Das ist dann eine inhaltlich interessante Frage, die der Welt mehr Tiefe geben kann und sich aus spielmechanischen Fragen ergeben hat, weil in DnD 5 z.B. Opfer von Verzauberungen meist wissen, dass sie verzaubert wurden.

        1. Begegnungen aus taktischen Gründen ohne Gewalt zu lösen, ist ja ne andere Baustelle. Was Ethik angeht, habe ich es leider zu oft erlebt, dass dann so Kobayashi-Maru-Situationen entstanden, was für alle doof war. Wenn man ernsthaft mit Ethik hantiert in dem Zusammenhang, dann stößt man doch an Grenzen, jedenfalls wenn man zeitgenössische Ethik zugrunde legt. Eine gewisse Reflektion und Selbstironie schadet da sicherlich nicht, aber letztendlich, wenn ich eine Gruppe mit guter Gesinnung habe in D&D, die gegen Gegner mit böser Gesinnung kämpft, dann erwarte ich nicht, dass der DM hinterher die Frage aufwirft, wer hier eigentlich die Guten und wer die Bösen sind. Oder?

      2. „Wenn man das so handhabt, dann muss das aber eigentlich konsequenter Weise auch das Spiel verändern, dann darf man eigentlich keine gewaltsamen Lösungen mehr suchen, dann kann man sich in ethischen Diskussionen aufreiben.“

        Diese Argumentation halte ich für fehlerbehaftet. Darf man keine gewaltsamen Lösungen suchen, wenn eine Gruppe gedungener (menschlicher) Schläger Geiseln in ihren Unterschlupf verschleppt oder die Gruppe aus dem Hinterhalt attackiert? Wenn nein, dann gibt es auch keine Probleme, wenn es zufällig gedungene *Orks* sind.

        Ich finde es auch wesentlich interessanter zu sagen, „Diese Orks sind böse, weil…“ (und deswegen ist Gewalt gegen sie gerechtfertigt), als zu sagen „Orks sind (alle) böse. Punkt.“.

        1. Ja ok, als Ultima Ratio mag man Gewalt ggf. ethisch rechtfertigen können (je nachdem, welcher Ethik man anhängt), aber worauf ich hinaus will: Viele haben da in ihrem eskapistischen AbenteuerSPIEL überhaupt keinen Bock drauf, sich diese Gedanken zu machen, deshalb spielen sie ein Spiel, das Gesinnungen hat, und dann wissen sie, wer die falsche Gesinnung hat, gehört zum gegnerischen Team, Ende der Diskussion. Natürlich kann man sich trotzdem die Mühe machen, das Ganze innerweltlich zu begründen und irgendwie immersiver und interessanter zu gestalten, das bleibt unbenommen.

          1. Naja, damit die Begründung funktioniert muss man ja erstmal darüber nachdenken. Was bei eskapistischen Spiel eher nicht der Fall ist. Da kann man einfach sagen „Wir wollen halt Welle um Welle von Gegnern taktisch klug ausschalten“ und das ist dann das Spielziel.

            Die Begründung „Die sind sowieso immer böse“ ist aber gerade für die Spieler gedacht, denen das eben *nicht* ausreicht und da kann man schon fragen, ob es da nicht einen Zielkonflikt gibt.

  2. Ich denke, du hast schon ganz richtig erkannt, warum es hier keine „Handlungsanweisung“ gab – letztendlich müssen alle für sich überlegen, was sie aus dem Buch mitnehmen. Das kann einfach die Erkenntnis sein, dass man über bestimmte Tropes der eigenen Spiele genauer nachdenkt, wenn man sie bespielt – genau, wie man vielleicht auch drüber nachdenken könnte, inwiefern es problematisch sein mag, wenn kostümierte Milliardäre zusammen mit ihren minderjährigen Mündeln Selbstjustiz üben, ohne dass man deshalb allen Batmancomics abschwören muss.
    Oder man ändert tatsächlich was an den eigenen Spielgewohnheiten, wenn man das möchte. Denn es gibt ja diverse Plots, die auch ohne ausnahmslos böse Orks funktionieren – selbst in D&D.

    Du sprichst notwendige Spielmechanismen an. Diesbezüglich hat das Büchlein tatsächlich auch was zu bieten: In „Queeres Spieldesign“ schreibt Avery Alder nämlich genau darüber, welche Grundannahmen sehr vielen Rollenspielen zugrunde liegen (1. Manche Leute sind wichtiger als andere, 2. Gewaltige Macht und enormer Reichtum können ehrlich verdient und dann nach Gutdünken eingesetzt werden, 3. Die Welt wird durch einzelne Heldentaten statt durch Alltägliches gerettet, 4. Eskalation bedeutet Fortschritt der Geschichte). Auch da wird wieder nicht die Forderung aufgestellt, die auf diesen Konzepten basierenden Rollenspiele abzuschaffen, aber Avery stellt interessante Überlegungen dazu an, was herauskommt, wenn man für einzelne Spiele diese und andere Grundannahmen in Frage stellt.

    Abseits des Bandes würde ich ansonsten ganz persönlich sagen, dass „Diese Art Geschichte haben wir schon immer erzählt“ nicht unbedingt ein Grund sein muss, sie auch weiterhin auf die gleiche Weise zu erzählen. Die Art, wie Grimms Märchen in meiner Kindheit Anfang 90er erzählt wurden, ist im Vergleich zu der ursprünglich von den Gebrüdern zusammengetragenen Fassung um ungefähr 80 % des Bluts und Gekröses bereinigt worden. Die Geschichten um Ritter, Prinzessin und Drache sind allen bekannt – aber ich kann nur empfehlen, mal auf Twitter dem Account @microSFF zu folgen, der mittlerweile geschätzt 30+ Variationen davon auf je 280 Zeichen präsentiert hat, in denen nach und nach so ziemlich alle Elemente davon hinterfragt und umgestellt wurden. Wir müssen nicht die alten Geschichten abschaffen. Aber wir gewinnen so viel, wenn wir neue erzählen.

    1. Da du Grimms Märchen ansprichst: Ich habe meinen Kindern einen Haufen moderner, emanzipierter, pädagogisch wertvoller und aus meiner Sicht ganz bezaubernder Kinderbücher vorgelesen, und dann bekamen sie so eine uralte Version von Grimms Märchen für Kinder in die Hände, komplett mit Blut und Tod und echt schaurigen Illustrationen, und waren davon absolut fasziniert.

      Der Grund, die Archetypen zu verwenden, ist ja nicht „das haben wir schon immer so gemacht“. Er kann aber ggf. sein: „Diese Geschichten berühren mich auf eine Art und Weise, wie es andere, pädagogisch wertvoll durchdeklinierte Geschichten nicht tun.“ Das kann man jetzt natürlich politisch bewerten und als Teil des Problems ansehen, das geht mir aber zu weit, erst recht, wenn es mit einem Umerziehungsgedanken verbunden ist. Ich bin, aus biografischen Gründen, extrem misstrauisch, wenn Leute anderer Leute Neigungen rationalisieren und bewerten wollen.

      Den Beitrag von Avery Alder habe ich gelesen, damit konnte ich aber wenig anfangen. Experimentelle Story Games hab ich so zwischen 2004 und 2009 viele gespielt, habe auf der NordCon 2006 sogar mal einen Workshop dazu gemacht, Monsterhearts 2 spiele ich aktuell, aber diese Spiele sind für mich niemals so packend und so intensiv gewesen, wie andere Runden mit klassischerem Aufbau.

      1. „Diese Geschichten berühren mich auf eine Art und Weise, wie es andere, pädagogisch wertvoll durchdeklinierte Geschichten nicht tun.“

        Guter Punkt. Ich formuliere es mal vereinfachend und salopp: Wir Menschen haben eben so manche dunkle Neigung in uns. Irgendwo tief in uns drin (oder manchmal auch nicht mehr so tief) gibt es animalische und daher amoralische Aspekte unseres Selbst. Und Zivilisation bedeutet, diese entsprechend zu kanalisieren. Also zum Beispiel unsere Aggression nicht an Mitlebewesen auszulassen, sondern in anderen Formen zu äußern, eben etwa im Spiel. Ich halte das für einen wesentlichen Grund, warum etwa Gewalt, neben anderem, in der Popkultur (dieser wie vergangener Zeiten) eine so große Rolle spielt.

        Natürlich gibt es bessere und schlechtere Weisen, diese Bedürfnisse durch Erzählungen oder Spiele zu befriedigen. Darüber kann und sollte man diskutieren. Aber ich denke, wir sollten akzeptieren, dass es sie gibt und dass es ganz gut ist, entsprechende Kanäle dafür zu finden.

  3. Mein Punkt ist vor allem, dass es keine andere Baustelle sein muss.
    Fafhrd and the Grey Mouser, sogar Conan, kommen auch immer wieder ins Philosophieren, insofern behaupte ich sogar, moralische und philosophische Fragen sind qua Appendix N immer schon Teil der DNA von D&D.

    (vielleicht ist mein RPG Verständnis als „radikal“ zu bezeichnen, weil es so HD viel Rückbezüge zu den Wurzeln des Spiels hat. Radikales Rollenspiel. Radical theory of RPGs. Hat was.)

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