Was sich wirklich unter Mantel, Schwert und Zauberstab verbirgt

Viel Häme ward gegossen über 3W20-Probe, Talentwert Töpfern, Attacke-Parade-Attacke-Parade-Attacke-Parade, Maraskanischen Hartholzharnisch und natürlich “Auf ein Wort”. Und doch wirst du in Deutschland verdammt viele Rollos treffen, die mit Mantel, Schwert und Zauberstab (aka DSA3) sozialisiert sind. Ich selber habe mit (A)D&D, Cthulhu und dann vor allem Star Wars d6 Laufen gelernt und bin erst spät auf DSA3 gestoßen, habe dann aber in zwei langen Kampagnen mitgespielt, mich reingefuchst und auch sehr viel Spaß gehabt. Ich möchte mich heute damit befassen, was den Kern von DSA3 ausmacht.

Menschlichkeit

Wer “Vom Kampf und von den Helden” durchblättert, sieht sofort, dass die nichtmenschlichen Rassen vergleichsweise unbedeutend sind. Dies setzt sich in Götter- und Magiebox fort. Und auch Hintergrundbände und Abenteuer bauen in DSA3 vor allem auf menschliche und menschenähnliche Antagonisten. Selbst die Orks sind mehr Winnetou als Uruk-Hai. Das änderte sich mit G7 und “Unter der Dämonenkrone”, aber im Ausgangspunkt ist DSA3 ein durch und durch humanistisches Spiel, was sich nicht zuletzt auch in der relativen Ferne der Götter zeigt (Götterglaube und Spiritualität als Aspekte der Menschen, nicht Götter als realer Machtfaktor in der Welt). Selbst bei den Dämonen der “Mysteria Arkana” geht es mehr um Faust, und weniger um Mephisto.

Dies hat zur Konsequenz, dass die Unterscheidung von Protagonisten und Antagonisten nicht nach Kult- oder Rassenzugehörigkeit, sondern nach dem Handeln erfolgt. Ohne jetzt die moralische Dimension überbewerten zu wollen, wird dadurch doch ein Fokus auf die Überzeugungen der Helden gelegt. Gleichzeitig haben wir archetypische Persönlichkeitsmerkmale bei den Heldentypen, und die schlechten Eigenschaften als rudimentäre Personality Traits. All dies betont, dass die Helden menschliche Wesen sind, und fordert den Spieler dazu auf, sich damit auseinander zu setzten.

Gleichzeitig folgt daraus, dass man mit Gegnern nicht immer bis zum Tod kämpfen muss, dass Verhandeln oft eine Option ist, was aber voraussetzt, die Motivation der Gegner zu verstehen. Wildtiere andererseits kann man normalerweise vertreiben, ohne sie zu bekämpfen – es gibt keine Dire-Variante. Das Bestiarium hatte zwar noch einige aus früheren Editionen überlieferte Viecher zu bieten, aber die spielten in den Runden, die ich kannte, keine große Rolle mehr.

Sentimentalität

Eine der beliebtesten Quellenboxen zu DSA3 war “Dunkle Städte, Lichte Wälder”. Hier lässt sich die oft besungene Märchenhaftigkeit des Settings in all ihrer schwülstigen Pracht bewundern. Die Box hat damals viele genau richtig abgeholt, mich auch. An anderer Stelle spielt Schamanismus eine Rolle, edle Wilde an allen Ecken und Enden, Wunder der Natur, und auch die Elfen fügen sich da ein. Aventurien hat überall versteckte Enklaven der Ursprünglichkeit, Natürlichkeit, Reinheit. Dort wohnt der Zauber des Settings, wohingegen die den Helden verfügbare Magie eher low key ist, kein Bag of Holding, keine Resurrection. Durch diesen Zauber wird ein besonderes Ventil für den dem Rollenspiel immanenten Eskapismus bedient. Eines, das nicht aus Abenteuern im Sinne von bewaffnetem Konflikt besteht, sondern allein aus einem verträumten Sense of Wonder.

Dies ist auch Ausdruck der generellen Emotionalität von DSA3, die eng mit dem Faktor Mensch verknüpft ist. Die Erfahrbarkeit der Welt in ihrer vertrauten Alltäglichkeit einerseits (bis hin zu Pommes rot-weiß), und ihrer Märchenhaftigkeit andererseits, bezweckt genau diese emotionale Mitnahme der Spieler. Sie richtet sich an jeden, der bei “Das Letzte Einhorn” eine Träne verdrückt hat. DSA3 zapft die Sentimentalität der Spieler an, und das mit großem Erfolg. In den Spielregeln findet das insoweit Eingang, als das Konzept des “phantastischen Realismus” auch ein direkter Ausfluss des Postulats der Erfahrbarkeit der Welt ist.

Erfahrbarkeit

Der vielgerühmte “phantastische Realismus” ist im Regelcrunch präsent, nicht nur in Schnipseln wie den Waffenvergleichswerten, sondern konzeptionell. Grundlegend gelten für alle Helden dieselben Regeln, die Heldentypen sind keine echten Klassen, sie sind eigentlich eher sowas wie Lifepaths in Form der Talent-Startwerte, was besonders deutlich wird, wenn man die Modifikatoren nach Region und Akademie und die buchstäblichen Lifepath-Elemente aus “Vom Leben in Aventurien” dazu nimmt. Und von da ausgehend, hat der Spieler bei der Steigerung der Eigenschaften und Talente freie Hand, es gibt hier nichts, was einfach aufgrund der Klasse von Stufe zu Stufe skaliert. Und wenn ein Magier keine Eisenrüstung trägt oder ein Streuner keinen Zweihänder, dann reicht dafür als Begründung nicht “Klassenbeschränkung”, sondern es muss eine innerweltliche Begründung geben.

Was sich dahinter eigentlich verbirgt, ist weniger ein Bedürfnis nach echtem Realismus, als vielmehr ein Bedürfnis danach, das Leben und die Geschichte ganz verschiedener, einzigartiger Bewohner Aventuriens erzählen zu können. Dazu passt auch das große Augenmerk auf alltäglichen Dingen in den Hintergrundbeschreibungen. DSA3 wollte hier weniger Spiel sein, und eben mehr die Welt erfahrbar machen. DSA4 wollte dann in verschiedene Richtungen zugleich, doch das ist eine andere Geschichte. DSA3 mag an vielen Stellen klobig und prätentiös gewesen sein, aber es war in seinen Prinzipien sehr konsistent. Und deshalb konnte es so viele Rollos in den 90er Jahren prägen.

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